Trio Oyftref in der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover

Sie brauchen dringend eine neue Synagoge und ein neues Gemeindezentrum, die Leute von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover e.V. Ein Grundstück und ein Gebäude sind schon in Aussicht, dafür aber, und für den nötigen Umbau des Gebäudes, brauchen sie Geld. Viel Geld. Sehr viel Geld. So ungefähr 2 Mio. Euro. Und die jüdischen Gemeinden sind traditionell nicht mit Reichtümern gesegnet ...

In diesem Kontext ist der Entschluss der Oyftrefs zu sehen, die Release-Party ihrer neuen CD Ibern Jam am 24.8.2003 in den Räumen der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover e.V. stattfinden zu lassen und ihr Honorar in voller Höhe für den Bau des neuen Gemeindezentrums zur Verfügung zu stellen.

Mit einem Nigun auf den Lippen, einer jener kleinen Weisen ohne Worte, betraten die drei Musiker den proppenvollen Saal, um ihn sofort mit ihrer unaufdringlichen Präsenz auszufüllen. "Wir machen heute einmal etwas ganz anderes, als wir sonst machen", begann Annette Siebert, "wir spielen erstens ohne Noten, und zweitens halten wir uns genau an den Inhalt der CD." (schön, das macht es dem Rezensenten etwas leichter, da muss er nicht zweimal seinen Grips anstrengen ;-D ), und drei Köpfe beugten sich über die CD-Hülle, die anstatt Notenblättern einsam auf dem Notenständer lag.

Und schon ging es los. "Ibern Jam" - übers Meer, heisst das auf deutsch, und ist all den Juden gewidmet, die die "Reize nokh Amerike", so einer der Titel (Ihr kennt das, von Dave Tarras, mit diesem herrlich witzigen Stars and Stripes Zitat), auf der Suche nach einer neuen Heimat auf sich genommen haben. Konsequenterweise finden wir Namen wie Naftule Brandwein, Dave Tarras, Abe Schwartz, Abe Ellstein und Michael Alpert in der Komponistenliste, aber ebenso häufig auch "trad.". Und das ist ja auch ein Anliegen der drei: Obwohl allesamt Goijim, Nicht-Juden also, möchten sie die Klezmer-Tradition bewahren, nicht ohne ihr allerdings einen sehr eigenen Oyftref-Stempel zu verpassen, der, trotz aller Tradition, ein von Oyftref gespieltes Stück sofort und jederzeit wiedererkennen lässt. Das fängt bei der Verwendung der Oboe an (mir fällt grad nur eine andere Gruppe ein, die auch eine Oboe verwendet), geht weiter bei Stefan Goreiskis Erfahrungen aus dem Tango und der Balkanmusik, und hört bei der kammermusikalischen Erfahrung der Sieberts noch lange nicht auf. Wir trauern mit und in der Musik, wir freuen uns, wir jauchzen und - nein, getanzt hat am Sonntag keiner, trotz Annettes Wink mit dem Zaunpfahl, dass da ja doch etwas Platz noch wäre zum Tanzen. Naja, wer nicht tanzte, konnte sich auf die Musik konzentrieren und die Musiker, deren stille Kommunikation untereinander während der Stücke auch ein optischer Genuss ist. Die Füße wippten und die Schultern wiegten sich dennoch, und manches gut bekannte Stück wurde auch im Publikum mitgesungen. Standing ovations waren der verdiente Lohn für eine gute Stunde wunderbare Musik.

Nun doch noch ein paar Worte zur CD. "Wir haben diese CD in der Aula der Waldorf-Schule aufgenommen", sagte Stefan Goreiski mir hinterher bei einem Glas Roten, "Die Akustik und die Athmosphäre dort waren wunderbar. Wir wollten etwas anderes machen als bei der Dreyt sich a velt-CD. Der Klang sollte präsenter sein. Wir waren uns sehr wohl bewusst, dass wir eine Gratwanderung vorhatten. Aber Toms Spogis, unser Toningenieur, hat das wunderbar gemacht, wenn es auch von unserer Seite sehr anstrengend war, ihn zufriedenzustellen. Aber es hat sich gelohnt - wenn Du die CD auf einer guten Anlage abspielst, dann siehst Du uns förmlich im Raum stehen." Recht hat er, der Stefan. Natürlich brauchts etwas mehr als einen herkömmlichen Ghettoblaster, aber dann ... Was ich sagen will: die Tonqualität dieser CD ist auffallend gut, absolut adäquat zur musikalischen Qualität.

Meine Meinung: Kojfn!!!

Ibern Jam

Die Musiker

 

Kontakt:
Annette & Thomas Siebert
fon/fax: +49 (0)511 831614

Internet:
www.oyftref.de


Zum guten Schluss noch ein Nachtrag in Sachen neue Synagoge. Die finanziellen Probleme der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover e.V. habe ich ja oben schon kurz angerissen. Die Gemeinde ist natürlich auf Spenden angewiesen, und dafür haben sie sich etwas Besonderes ausgedacht: Sie verkaufen Bausteine, kleine modellhafte Ziegelsteine, zu einem Päckchen zusammengebunden. Und wer Steine für mindestens 50.- Euro kauft, so die Vorsitzende Ingrid Wettberg, wird auch in einer Spenderliste erwähnt werden. Ob dies auf einem Gedenkstein im neuen Gemeindezentrum sein wird oder in einer Festschrift, steht noch nicht fest.

Wer die Liberale Jüdische Gemeinde Hannover e.V. beim Bau der neuen Synagoge unterstützen möchte, der wende sich bitte an Ingrid Wettberg.
Keine Frage natürlich, dass die Oyftrefs die ersten Bausteine erhalten haben ...

DMU, 25-AUG-2003


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